Tim und Struppi

Hergé, der Vater der legendären Comic-Figuren Tim und Struppi sowie ihrer Freunde und Gefährten Kapitän Haddock, Professor Bienlein, Schulze und Schultze wäre am 22. Mai 2007 hundert Jahre alt geworden. Anlässlich dieses Jubiläums gibt Carlsen Comics eine Sonderausgabe des Bandes »Tim in Tibet« als kleinformatiges Hardcover für nur € 3,95 heraus. Dies erlaubt eine Begegnung mit den herrlichen Figuren in einer lobenswert preiswerten Ausgabe.

Der 1983 im Alten von 75 Jahren verstorbene belgische Comic-Autor und Zeichner Hergé, eigentlich Georges Prosper Remi, vollendete insgesamt 23 Bände seiner Erzählungen um Tim und seinen vierbeinigen Begleiter Struppi. Im Durchschnitt arbeitete er jeweils ein Jahr an einem Band. »Tim in Tibet« gilt als Lieblingsalbum des Künstlers, der wie kaum ein anderer die Comic-Kultur des letzten Jahrhunderts prägte, und sie ist eine der großartigsten Geschichten.

In der lebensfeindlichen Gebirgswelt des Himalaya suchen Tim und Kapitän Haddock nach ihrem Freund Tschang, mit dem sie sich in »Der Blaue Lotos« angefreundet hatten. Auf dem Weg nach Europa zerschellte das Flugzeug des jungen Chinesen an einem Berggipfel und stürzte ab. Obwohl es keinerlei Anzeichen gibt, dass jemand diesen tragischen Unfall überlebt haben könnte, spürt Tim die Gegenwart seines Freundes. Unbeirrt setzt er für diese innere Gewissheit sein Leben aufs Spiel …

Die Hergé-Stiftung, die den Nachlass und die Rechte an den Comics verwaltet, verhinderte 2001, dass der Band »Tim in Tibet« in der Volksrepublik China unter dem Titel »Tim und Struppi im chinesischen Tibet« erschien. Dafür wurde der Stiftung im Mai 2006 der »Light of Truth Award« durch den Dalai Lama verliehen.

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Genre: Comics
Illustrated by Carlsen Hamburg

Der Goldblütenpalast

Am Set einer extrem erfolgreichen Weltraum-Seifenoper treffen sich drei Abkömmlinge berühmter und erfolgreicher Eltern. Sie wollen sich einerseits aus dem Schatten ihrer Eltern lösen und imitieren sie andererseits mit aller Macht. Leider sind alle drei derart unbegabt, dass dies selbst ihren Erzeugern nicht verborgen bleibt. Es ist ein Trio der Verlorenen.

Bertie, Sohn des schwer reichen Produzenten der Serie, möchte als Schauspieler brillieren statt lächerliche Rollen in der Serie des Herrn Papa zu übernehmen. Clea lebt im Schatten ihrer übergroßen Mutter, einer früh verstorbenen Hollywood-Diva. Thad wird überall als VIP erkannt, weil er Spross eines weltberühmten Schriftstellers ist, der sämtliche Literaturpreise kassiert hat und Multimillionen verdient, er selbst muss jedoch inzwischen in Maske auftreten.

Die Kinder tragen zwar den bekannten Namen, ihnen fehlen jedoch Talente und Fähigkeiten ihrer Eltern. Einfluss nutzt wenig, um ihre Karrieren nachhaltig zu fördern, zumal sie mit den Engagements, die ihnen vermittelt werden, unzufrieden sind und diese verachten. Sie leben über ihre Verhältnisse, sind bald überschuldet und schwingen sich teilweise nur noch mit Hilfe von Medikamenten und Drogencocktails von einer Illusion zur nächsten.

Bruce Wagner seziert die Scheinwelt Hollywoods und führt sie in ihrer Erstarrung und eigenwilligen Komik vor. Der in Amerika hoch gelobte Autor beleuchtet die Erbengeneration, die jetzt an den Sets steht. Wie durch das Etikett eines berühmten Modeschöpfers der reizlose Fummel mit einem Nadelstich zum Modell avanciert, so werden die Kinder der Stars durch ihre Herkunft geadelt. Leider verbessert das ihre Leistungen nur unwesentlich. So führt die Jagd der drei Freunde nach Anerkennung letztlich in einen tragischen Strudel von Lügen, Selbstbetrug und Chaos.

Pointiert beleuchtet Wagner den Narzissmus des amerikanischen Showgeschäfts. Thema und Stil des Buches sind faszinierend. Allerdings wird vielen deutschen Lesern der Zugang zur Hollywoodwelt schwer fallen. Interna und Details, auf die der Autor abstellt, mögen dem US-Publikum vertraut sein, der europäische Leser tut sich damit schwer. Wem dies keine Hürde bedeutet, kann im »Goldblütenpalast« einen gesellschaftskritischen wie sprachlich anspruchsvollen Lesestoff entdecken.

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Genre: Romane
Illustrated by Rogner & Bernhard bei Zweitausendeins Berlin

Unternehmen Vendetta

Haben Sie schon mal eine Nacht durchgelesen? Auf der Couch gesessen, gelesen, auf die Uhr gesehen: 2 Uhr festgestellt. Selten gibt es wirklich ein Buch, dass man die ganze Nacht lesen kann – bis es – sozusagen – leer ist. Ausgelesen. Mir ist es mit dem oben genannten Thriller im wahrsten Sinne des Wortes so gegangen, denn das schwedische Außenministerium empfängt einen Brief, der nicht mal eingeschrieben ist, und einen abgeschnittenen Finger enthält. Die sizilianische Mafia erpresst den schwedischen Staat. Das heikle Geschäft, mit den Erpressern zu verhandeln, überlässt die schwedische Regierung dem Spitzenagenten (mit der Lizenz zum Töten) Coq Rouge alias Carl Gustaf Gilbert Graf Hamilton und seinem Freund Joar Lundwall. Sie begreifen bald, dass es kaum um Menschenleben und Lösegeld geht, sondern um Waffengeschäfte, die nach dem 1. Golfkrieg die noch stark angeschlagene arabische Ehre wiederherstellen sollen. Als während der Ermittlungen Joar Lundwall in Palermo auf offener Straße umgebracht wird, gibt es für Hamilton nur noch das Gesetz , das sonst das Privileg der Mafia ist: Vendetta! Um nicht alles zu verraten, aber von atemloser Spannung bis zum letzten Showdown, gehört „Unternehmen Vendetta“ zum Authentischsten, was zur Zeit auf dem Thrillermarkt rumliegt.


Genre: Thriller
Illustrated by Unbekannter Verlag

Der Gesang der Orcas

Sophie, ein fünfzehnjähriges Mädchen aus Berlin, und ihr Vater, ein anerkannter Fotograf für Magazine und Bildbände, begeben sich auf eine gemeinsame Reise in den äußersten Nordwestzipfel Amerikas, auf die Olympic-Halbinsel, in das Reservat der Makah-Indianer.
Diese Reise ist keine gewöhnliche Dienstreise für den Vater und keine unbedingt erwünschte Ferienreise für Sophie.
Jeder der beiden nutzt die Reise als Chance, den Verlust eines geliebten Menschen zu verarbeiten und die Entfremdung untereinander, bedingt durch die jahrelange Globetrottertätigkeit des Vaters, zu überwinden.

Dies alles spielt sich ab vor der großartigen Kulisse der Pazifischen Westküste Nordamerikas und in der modernen, die alten Traditionen weiter pflegenden Indianerkultur.

Eine besondere Stellung in diesem Jugendroman nehmen für Sofie und ihre neuen Freunde die Begegnungen mit den Orcas auf dem offenen Ozean ein…

Wer sich gern dem Leben fremder Kulturen und Menschen öffnet, wer Achtung vor der Natur empfindet und wem Verlust und Abschied nicht nur Trauer und Wehmut bedeuten, dem sei dieses Buch empfohlen. Es ist für einen Erwachsenen genauso lesenswert wie für einen Teenager und weckt sogar etwas Fernweh.


Genre: Kinder- und Jugendbuch
Illustrated by arena Würzburg

Der letzte Sommer der Unschuld

Chris Fuhrman starb mit 31 an Krebs und schaffte es gerade noch, seine Erzählung »The Dangerous Lives of The Altar Boys« (»Das gefährliche Leben der Messdiener«) abzuschließen. Freunde gaben das Buch postum in der »University of Georgia Press« heraus. Von dort entwickelte sich langsam eine Fan-Gemeinde des Werkes, das Fuhrman einen Spitzenplatz unter den Büchern über das Heranwachsen von Jugendlichen, neudeutsch »Coming-of-Age-Literatur«, sicherte. Das Buch wurde inzwischen sogar mit Jodie Foster verfilmt und lief in Deutschland unter dem Titel »Lost Heaven« im Kino. Die ungeschickte deutsche Titelfindung »Der letzte Sommer der Unschuld« und eine Pädophilen-Optik ließen die deutsche Ausgabe das Buch in der Versenkung verschwinden. Dieses literarische Kleinod verdient es jedoch, vor den Ramschhändlern gerettet zu werden.

Fuhrman erzählt von fünf dreizehnjährigen Messdienern, die sich an einer katholischen Klosterschule im Süden der USA quälen und nach Lektüre von »Der Pate« eine Gang bilden. Heimlich saufen sie Messwein und stehlen Oblaten. An Jesus Christus glauben sie nicht. Zeichnerisch begabt produzieren sie Comics, auf denen Pater und Nonnen in einer Weise dargestellt werden, die bei Veröffentlichung die öffentliche Hinrichtung der jungen Künstler nach sich ziehen würde. Wundervoll direkt und mit herrlichem Humor schildert der Autor die ersten Erlebnisse ihres Erwachsenwerdens: den Konflikt mit den Autoritäten in Elternhaus und Schule, den ersten Kater, den ersten Kuss, den ersten Joint, den ersten Sex.

Die Gemeinheit eines Mitschülers spielt den Hardcore-Comic einem Pater in die Hände. Wenige Tage vor Schulabschluss droht der Gang damit ein Verweis von der Schule. Die Jungen wollen ablenken und beschließen, ein Raubtier aus einem Nationalpark einzufangen und in der Schule auszusetzen. Mit diesem Plan nimmt das Drama, denn das Buch endet leider böse, seinen Lauf. Alles geschieht vor dem Hintergrund schwelender Rassenunruhen, die in das Leben der weißen Jugendlichen hineinspielt wie vor der leidenschaftlichen ersten Liebe, die zwischen dem Hauptheld und einer von ihm angebeteten Schülerin entflammt. Familien in Krisen, elterliche Gewalt, sexueller Missbrauch – das sind »normale« Elemente, die aus jugendlicher Sicht wie selbstverständlich mit in die Erzählung einfließen und diese damit zu einem zeitkritischen Stück aktueller Gegenwartsliteratur machen.

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Genre: Kurzgeschichten und Erzählungen
Illustrated by Heyne München

Der Seitensprung

Die Ehe von Eva und Hendrik scheint zerrüttet. Er betrügt sie mit der Kindergärtnerin ihres Sohnes. Sie fühlt sich tief verletzt und will sich von ihm trennen. Doch zuvor will sie Genugtuung. Sie rächt sich mit einem One-Night-Stand, bei dem sie allerdings einen Psychopathen aufgabelt. Damit gerät die Geschichte vom Seitensprung aus allen Fugen und führt ins Chaos. Was wie ein Drama sprachlicher Missverständnisse zwischen Mann und Frau beginnt und durch eine klärende Aussprache vielleicht gerettet werden könnte, entwickelt sich zu einem spannenden Thriller voller Hintersinn und doppelter Böden.

Die subtil scheinende Geschichte der schwedischen Krimiautorin Karin Alvtegen entpuppt sich als phantastisch ausgefeilte Fallstudie über die Kommunikationslosigkeit zwischen Mann und Frau vor dem Hintergrund von Zwangsneurosen. Vor allem aus weiblicher Perspektive zeichnet sie das Fühlen und Empfinden der Protagonistin auf, die entdeckt, dass sie von ihrem Ehemann hintergangen wird und vergeblich versucht, die Beziehung zu retten. Als sie erkennt, dass ihre Versuche harsch zurück gewiesen werden, entwickelt sie sich zum verletzten Racheengel.

Eva versucht, die Rivalin fertig zu machen. Sie fälscht deren E-Mails und kramt im Hintergrund der Widersacherin herum, um sie unmöglich zu machen. All das würde auch aufgehen, wäre sie nicht eines Nachts Jonas in die Arme gelaufen. Jonas ist ein von Zwängen getriebener Psychopath, der Frauen, die ihm begegnen, nicht mehr loslässt. Der Wahnsinnige verfolgt die Ehefrau und Mutter und bricht in ihr Leben ein. Damit entsteht in kürzester Zeit ein Tohuwabohu, das Eva nicht mehr beherrschen kann …


Genre: Frauenliteratur
Illustrated by Rowohlt

Eragon

Der junge Eragon entdeckt beim Jagen einen geheimnisvoll schimmernden Stein. Der seltsame Fund entpuppt sich als Ei eines Drachens, das ihm die Magie des Zufalls in die Hände gespielt hat. Tatsächlich springt die Eischale auf und eine junge Drachendame schlüpft: Saphira. Mit Hilfe eines alten Geschichtenerzählers erfährt Eragon die Bedeutung seines Funds: er ist zum Drachenreiter bestimmt. Drachenreiter schienen ausgestorben und wurden vom regierenden Diktator Galbatorix vernichtet, der sich damit seine düstere Herrschaft sicherte.

Die Kunde von der Wiedergeburt der Drachenreiter weckt Hoffnung auf Befreiung. Sie lockt aber auch allerlei Gegner und Feinde, die Eragons Familie weitgehend auslöschen, um den Jungen in ihre Gewalt zu bekommen. Ihm bleibt keine andere Wahl, als zu fliehen. Auf seiner weiten Reise ins Unbekannte trifft er Menschen, Ungeheuer, Elfen, Zauberer und lernt im Umgang mit ihnen, seine Fähigkeiten zu schulen und zu entwickeln. Er befreit eine Elfenprinzessin und schafft es im letzten Augenblick, seinen blutrünstigen Verfolgern zu entkommen und bei den Zwergen und Varden Unterschlupf zu finden.

Doch bald greifen die Mächte der Finsternis seinen Aufenthaltsort an und führen einen gewaltigen Schlag gegen das Reich der Zwerge. Eragon muss alle Kräfte und Fähigkeiten einsetzen, um seinen neuen Freunden beizustehen und den sicheren Untergang abzuwenden.

Der erste Band der Fantasy-Saga liest sich trotz seiner 730 Seiten geschmeidig und spannend. Das Werk ist ein echtes Jugendbuch. Es empfiehlt sich für diejenigen Leseratten, denen Tolkiens »Herr der Ringe« zu intellektuell und Tad Williams »Shadowmarch« zu vielschichtig ist. Aber auch ältere Leser können viel Freude bei der Lektüre empfinden. Serviert wird spannende Unterhaltung, und wer den ersten Band verschlungen hat, wartet gespannt auf die Fortsetzung der dramatischen Odyssee.

Interessant ist, den Werdegang des Bestsellers zu beleuchten. Christopher Paolini verfasste den ersten Band seiner Saga im zarten Alter von fünfzehn Jahren. Seine Familie unterstützte ihn mit Lektorat und brachte den Band schließlich im Eigenverlag heraus. Gemeinsam mit seiner Mutter unternahm der junge Autor, der nie eine öffentliche Schule besucht hat, eine gigantische Leserreise durch die USA und gewann tausende begeisterte Anhänger. Schließlich entdeckte ein Großverlag das Buch und nahm es in sein Programm auf. Als schließlich der Buchkonzern Random House den Autor unter seine Fittiche nahm, konnte der weltweite Drachenflug Eragons starten. Inzwischen ist das Buch verfilmt und der zweite Band in deutscher Sprache erschienen.


Genre: Fantasy
Illustrated by Bertelsmann München

Schrei nicht so laut

Frank Elder hat sich nach dreißig Jahren Polizeidienst und einer gescheiterten Ehe nach Cornwall zurückgezogen. Hier in der Abgeschiedenheit versucht der von Albträumen geplagte ehemalige Detectiv-Inspector Ruhe und Abstand zu finden. Aufgeschreckt durch die Nachricht, dass ein junges Mädchen ermordet wurde, erinnert sich Frank Elder an einen ähnlichen Fall, der viele Jahre zurückliegt. Damals konnten unter seiner Leitung zwei Täter ermittelt und verurteilt werden.

Von Susan Blacklock, einem ebenfalls verschwundenen Mädchen, fehlt aber seit vielen Jahren jede Spur. Elder beschließt, diesen Fall wieder aufzurollen. Gleichzeitig wird Shane Donald, einer der ehemaligen Mörder und Vergewaltiger, vorzeitig aus der Haft entlassen. Elder heftet sich auf seine Spur, ermittelt aber gleichzeitig in verschiedene Richtungen und kommt dabei zu interessanten Erkenntnissen. Aber als seine eigene Tochter gekidnappt wird, sieht es so aus, als ob der ehemalige Polizist zu spät kommen würde.

Ein spannender Roman, der herrlich britisch und voller Überraschungen ist.


Genre: Kriminalliteratur
Illustrated by dtv München

High Times

Mit ihrer von Olaf Kraemer aufgezeichneten Biographie macht Uschi Obermaier, das wohl bekannteste deutsche Groupie und Sex-Symbol der 68er-Generation, noch einmal von sich reden. Das 1946 geborene Nachkriegsmodell war als Kind in ihren Vater vernarrt, für sie »der tollste Mann überhaupt«. Früh stand sie auf wilde Männer und verliebte sich sogar in einen US-Massenmörder, dessen Bilder sie wegen seiner maskulinen Ausstrahlung besonders sexy fand. Jung-Uschi wollte unbedingt von ihrem Vater entjungfert werden, doch der interessierte sich nur für andere Frauen. Die Tochter fühlte sich verletzt. Weil ihr Traumprinz auf attraktivere Frauen stand und auch ihre Mitschülerinnen nicht verschmähte, beschloss das Mädchen, ein heißer Feger zu werden und arbeitete auf Schritt und Tritt daran.

Fräulein Obermaier wollte aussehen wie die französische Schauspielerin Brigitte Bardot, die durch ihren Schmollmund berühmt geworden war. Bald verkehrte die Heranwachsende in Schwabings »Big Apple« und ließ sich auf Männer ein, die »Kopien meines Vaters« waren. Musik bekam für sie eine Art mystische Bedeutung. In ihr drückte sich alles aus, was sie fühlte, aber nicht in Worte fassen konnte. So kam es zu dem für sie Nächstliegenden: dem Sex mit Musikern, denen sie als Groupie folgte. In London reagierte Uschi bevorzugt auf Schlagzeuger, weil sie deren Beinarbeit antörnte. Sie versagte sich aber auch bei Gitarre, Bass und Gesang nicht. Bald lebte sie mit der damals prominenten Band »Amon Düül« in deren Kommune bei München und trat als Sängerin auf.

Bei den »Essener Songtagen« lernte sie den Sponti Rainer Langhans kennen und zog zu ihm die legendäre »Kommune Eins« nach Berlin. Langhans wurde ihr Lover und Manager, die Fotos der barbusigen Uschi zierten bald jede Illustrierte. Mit Titelbilder von »Twen«, »Spiegel« und »Stern« erreichte sie Kultstatus unter jungen Leuten. Nacktfotos in Jeans und mit Sonnenbrand waren die ersten (von geleckten Playboy-Aufnahmen abgesehen) Sexfotos in Deutschland.

Das Glamourgirl konnte mit einem einzigen Augenaufschlag feuchte Träume erzeugen und wurde zum Sex-Symbol jener Zeit. Sie verkörperte Sinnesdinge, Drogen und Musik wie keine andere. Mit Politik hatte sie wenig im Sinn, die Kommunarden waren entsetzt über die Braut, die bei Diskussionen im Haschischrausch wegdämmerte und überhaupt nicht verstand, worum es der 68er-Bewegung ging. Dafür sah sie blendend aus und war wohl ein Knaller im Bett.

Davon durften sich bald auch einige Größen der Popmusik überzeugen, mit denen »uns Uschi« durch die Betten stob: Jimi Hendrix, Mick Jagger und Keith Richards gehörten zu denen, die immer wieder Eskapaden mit Uschi unternahmen, obwohl sie verheiratet waren. Als Gattin kam das Betthupferl allerdings nie in Frage, und das wurmte sie.

In den Armen von Reeperbahn-König Dieter Bockhorn blühte Uschi dann richtig auf: die Welt der Gesetzlosen und Outcasts faszinierte sie noch stärker als die Welt des Rock ’n’ Roll. Mit dem Kiezprinz zog sie in einem prächtig ausgestatteten Bus sechs Jahre lang durch Asien, die USA und Mexiko und erlebte ihre persönlichen »HighTimes«. Nach dem Unfalltod von Bockhorn ließ Uschi Obermaier sich in Kalifornien nieder, wo sie heute eine Werkstatt für Silberschmuck betreibt.

Die Biographie ist für diejenigen Leser interessant, die sich an die Zeit der Außerparlamentarischen Opposition (APO) anno 1968 erinnern. Dabei repräsentiert Uschi Obermaier keine politische Idee oder Bewegung. Sie spiegelt den sexuellen Aufbruch jener Zeit wider, sie beschreibt die Schwierigkeiten vieler junger Leute mit den Konventionen der Nachkriegszeit und den ungeheuren Einfluss, den Sex, Drogen und Musik auf das Leben der jungen Generation hatten. So betrachtet ist das Buch ein Dokument, das Kulturgeschichte beschreibt.


Genre: Biographien, Memoiren, Briefe
Illustrated by Heyne München

Schiffbruch mit Tiger

Der in Kanada lebende Schriftsteller Yann Martel erzählt in seinem wundervollen Roman »Schiffbruch mit Tiger« die Geschichte des indischen Schülers Piscine Molitor Patel, der seinen französischen Vornamen einem prächtigen Schwimmbad verdankt. Es dauert jedoch nicht lange, und der Geistesblitz des Bösen durchfährt einen seiner Mitschüler, der eines grauen Tages ruft: »He da kommt Pisser Patel«. Auf dem Haupte des Jungen lastet fortan eine Dornenkrone. Immer wieder wird er mit der Frage konfrontiert: »Ich muss mal. Wo ist denn hier für Pisser?« Selbst die Lehrer, die ihm nichts Böses wollen, sprechen seinen Namen aus schierer Trägheit falsch aus.

Als Piscine auf die Oberschule wechselt, entschließt er sich zu einer Radikalkur. Der Unterricht beginnt, wie stets am ersten Schultag, mit dem Aufsagen der Namen. Als Piscine an der Reihe ist, springt er auf und läuft an die Tafel. Bevor der Lehrer etwas einwenden kann, greift er ein Stück Kreide und schreibt mit, was er sagt: »Ich heiße Piscine Molitor Patel, besser bekannt als …«, und er unterstreicht doppelt die ersten beiden Buchstaben seines Vornamen, » …Pi Patel«. Um es noch deutlicher zu machen, fügt er hinzu: »Pi = 3,14« und zeichnet einen großen Kreis, den er dann mit einem Strich durch die Mitte in zwei Hälften teilt, damit auch der Letzte begreift, auf welchen Grundsatz der Geometrie der Junge anspielt. So wird der »Pisser« zu Pi, und ein neues Leben beginnt für den jungen Mann.

Pi Patel wächst in einem Paradiesgarten auf: Sein Vater ist Direktor eines gepflegten Zoologischen Gartens, der in der südindischen Stadt Pondicherry betrieben wird. Er erfährt viel über die verschiedenen Tiere und das aus Sicht der Zooleute gefährlichste aller Lebewesen: den Menschen. Im Zoobetrieb geht es darum, die Tiere an den Menschen zu gewöhnen und ihre natürliche Fluchtdistanz zu verringern, das ist der Abstand, den ein Tier zu seinem natürlichen Feind hält. Pi lernt, dass gesunde Zootiere nicht aus Hunger oder Mordlust angreifen, sondern weil der erforderliche Abstand zu ihnen unterschritten wird. Und er begreift die Rolle des Alphatieres: wenn zwei Geschöpfe sich begegnen, wird derjenige, dem es gelingt, den anderen einzuschüchtern, als der Ranghöhere anerkannt, und zu einer solchen Rangentscheidung ist kein Kampf erforderlich, in manchen Fällen genügt eine Begegnung.

Diesem Wissen soll der junge Mann sein Leben verdanken. Denn die Familie entscheidet sich, mit Sack und Pack, einschließlich der meisten Tiere, von Indien nach Kanada auszuwandern. Die weite Reise erfolgt auf einem Überseedampfer, das indes bei Nacht und Nebel kentert und spurlos versinkt. Pi Patel überlebt das Inferno und flüchtet sich in ein Rettungsboot. Wie groß ist jedoch sein Schreck, als aus den Fluten weitere Überlebende auftauchen, die das Rettungsboot als ihre Insel ansehen: eine grässliche Tüpfelhyäne, ein Orang-Utan, ein Zebra und ein bengalischer Königstiger, der auf den Namen »Richard Parker« hört und eine Attraktion im Zoo war.

Die Überlebenden massakrieren sich bald gegenseitig, nur Pi Patel und Richard Parker bleiben zurück. Der Junge versucht anfangs, sich auf ein selbst gebasteltes Floß vor der Bestie zu flüchten. Doch dann beginnt er vorsichtig, seinen eigenen Bereich abzustecken, den das Tier schließlich akzeptiert. Er zähmt den Tiger, der ihm gehorcht, zumal er von ihm mit frisch geangelten Fischen gefüttert wird. Hilflos treiben sie im Ozean. Es beginnt eine monatelange Odyssee, die Martel mit derartig großer sprachlicher Anmut und sensiblem Einfühlungsvermögen erzählt, dass der Leser jede Phase des Zusammenlebens zwischen Mensch und Tier mitempfinden kann.

»Schiffbruch mit Tiger« ist eine sowohl witzige wie auch abenteuerliche Erzählung mit philosophischem Tiefgang. Obwohl die Handlung zwischen permanenter Todesangst und listigen Überlebensstrategien pulst, enthält sie herrliche Szenen voller Komik und Humor. Der Text bietet dem Leser leichten Zugang auf verschiedensten Ebenen und berührt auch Fragen des religiösen Verständnisses. Die Story endet skurril, die Schiffbrüchigen entdecken ein seltsame Insel aus Algen und werden schließlich an Land und in ein neues Leben gespült.


Genre: Romane
Illustrated by Fischer Taschenbuch Frankfurt am Main

Studs meets music

Viele sagen, das Leben sei mit Hilfe der Musik in den menschlichen Körper gelockt worden. Die Wahrheit ist aber, dass das Leben selbst Musik ist.
Passender als mit diesem Zitat von Hafis, einem persischen Dichter des vierzehnten Jahrhunderts, kann man ein Buch über Musik und Musiker nicht beginnen.
Der Pulitzer-Preisträger Studs Terkel war jahrelang Gastgeber einer Radioshow in Chicago, der Studs Terkel Show, und präsentierte seinen Zuhörern nicht nur Musik, sondern auch Gespräche mit Vertretern verschiedener Musikrichtungen.
“Studs meets music” enthält mehr als zwanzig Interviews mit den bekanntesten Musikern des zwanzigsten Jahrhunderts.
Unter diesen Höhenpunkten erzählt Jon Vickers von seiner Liebe zur Musik von Wagner, oder Louis Armstrong berichtet aus seinem langen Musikerleben. Ravi Shankar erwähnt seine Begegnung mit den Beatles, und Amerika’s großer Balladensänger Woody Guthry erinnert sich an seine Begegnungen und Wanderungen in den Vereinigten Staaten. Big Bill Broonzy sitzt in einem Studio, spielt die Musik längst verstorbener Freunde und berichtet aus seinem Leben. Kurze Zeit später, man schreibt das Jahr 1958, ist auch Big Bill tot.
Mit einem tiefgreifenden Wissen und einer enormen Wertschätzung seiner Gesprächspartner stellt Studs Terkel seine Fragen und liefert dem Leser ein kenntnisreiches Buch voller herrlicher Porträts.


Genre: Kunst, Musik und Literatur
Illustrated by Kunstmann München

Der kleine König Dezember

Der kleine König Dezember lebt in einem Mauseloch in der Wohnung des Erzählers, mit dem er sich gelegentlich zu Gesprächen trifft. Kaum größer als ein Gummibärchen, entstammt der kleine Wicht einem Geschlecht, das permanent schrumpft – bis er schließlich völlig verschwunden ist.

Axel Hacke hat den Däumling eines Tages in seinem Bücherregal gefunden und sich mit ihm angefreundet. Er erkundet mit ihm die Stadt und lauscht den Geschichten vom kleinen König Dezember II., der von seinem Vater, König Dezember I. und seinem Großvater König Dritter Januar, erzählt.

In der Welt des dicken kleinen Mannes, der in einem langen roten Mantel mit Hermelinbesatz steckt, wird man groß geboren, man weiß schon alles, kann lesen und schreiben. Mit zunehmendem Alter wird man klitzeklein und zu guter Letzt unsichtbar. Es ist alles spiegelverkehrt zum menschlichen Leben, und doch gleicht sich vieles.

König Dezember vertritt die Ansicht, dass man lebt, um zu träumen. Sein klitzekleines Wohnzimmer ist voller Schachteln, in der seine schönsten Träume fein säuberlich verpackt liegen. So kann er bequem wirklichkeitsfrei leben, und der Leser fühlt sich vielleicht ebenfalls angeregt, ein wenig mit der kleinen Exzellenz in den Tag zu träumen.


Genre: Kurzgeschichten und Erzählungen
Illustrated by Kunstmann München

Der Bär verspürt an manchen Tagen ein rätselhaftes Unbehagen

Wer deutsche Gedichte liest, bekommt selten Lachfalten. Deutsche Dichter wandern mit betroffenen Mienen und gramzerfurchter Stirn umher und wabern bevorzugt im Nebel. Dunkelheit gilt unverändert als Charakteristikum der literarischen Moderne und Schwermut als Beweis von Ernsthaftigkeit. Dichter, die von diesem Kanon abweichen, werden von der offiziellen Literaturkritik ebenso wie von der akademischen Germanistik verschmäht und in die Abteilung Kasperltheater abgeschoben.

Wilhelm Busch wurde von seiner Zeit lediglich als kauziger Comic-Zeichner statt als Dichter anerkannt. Über Christian Morgensterns Verse schrieb ein zeitgenössischer Rezensent, es handele sich keinesfalls um eine Art Literatur als um »das Lallen des Deliriums, um Hirnschwund-Aphasie«. Der unlängst verstorbene Robert Gernhardt wurde jahrzehntelang vom Feuilleton ignoriert, obwohl seine Bücher erfolgreich in mehreren Auflagen erschienen waren.

Dabei gibt es herrlich humorige, kauzige, schräge und surreale Gedichte deutscher Wortakrobaten, die anschaulich beweisen, wie unvollständig das literarische Feuilleton deutsche Dichtkunst spiegelt. Christian Maintz stellt in einer Anthologie ausgewählte komische Gedichte des 20. Jahrhunderts zusammen. Dem Weltbild-Verlag ist es zu danken, diesen ursprünglich bei Hanser erschienenen Sammelband als äußerst preiswertes Hardcover wieder aufgelegt zu haben.

Komische Gedichte stammen nicht nur von den Spezialisten des Genres wie Wilhelm Busch, Christian Morgenstern, Joachim Ringelnatz, Kurt Schwitters, Karl Valentin, Heinz Erhardt, F. W. Bernstein und Robert Gernhardt. Auch »ernste« Dichter kennen das komische Element und verwenden es bewusst, wie Texte von Erich Fried, Peter Rühmkorf, Bertolt Brecht und Hans Magnus Enzensberger belegen.

Der Titelzeile des Buches ist einem Gedicht von Volker Kriegel entlehnt, der sich auch als Jazzer einen Namen machte: »Der Bär verspürt an manchen Tagen ein rätselhaftes Unbehagen. Ist es der Kopf? das Herz? der Magen? Kann er das Bier nicht mehr vertragen? – Zu diesen schweren Schicksalsfragen weiß auch der Bär nicht viel zu sagen.« Was Kriegel da mit Tiefsinn blödelt, bildet keine Ausnahme. Die repräsentative Auswahl der geistreichsten, ulkigsten und brillantesten Gedichte ist eine Lesefreude und empfiehlt sich als Geschenk für jeden, der gern lacht.


Genre: Humor und Satire
Illustrated by Weltbild

Die verrücktesten Hotels

Eine Fleißarbeit legt Kurt Jaworski mit diesem Band vor, der vom Verlag mit der Aufnahme in seine neu angelegte »Edition BoD« geadelt wird. Auf rund 230 Seiten werden in kurzen Artikeln Quartiere auf Inseln und Bergen, in Palästen und Klöstern, bei Eskimos und Dschungelbewohnern beschrieben.

Die Buchidee ist nett, obwohl es derzeit mehr als 600 deutschsprachige Hotelführer gibt, die sich gegenseitig das Wasser abgraben wollen. »Absolut unvergleichlich« sei sein Führer, erklärt Autor Jaworski, der nach eigenem Bekunden fast 50 Jahre als Tourismus-Manager die Welt bereiste. Den Beweis bleibt er leider schuldig. Nur bei sechs von ihm persönlich favorisierten Häusern vermittelt er den Eindruck, auch tatsächlich vor Ort gewesen zu sein.

Die Zusammenstellung wirkt ein wenig steril. Es scheint, als habe der Autor einen großen Teil seiner Recherche vom Lehnstuhl aus per Internet abgewickelt. Dabei listet er dann häufig Adressen von Reiseveranstaltern auf statt direkt zu den Unterkünften zu führen, die mit Google durchaus zu finden sind.


Genre: Reisen
Illustrated by BoD Norderstedt

Die Glasbläserin

Der Titel ist ein wenig irreführend, erzählt dieses Buch doch nicht nur die Geschichte einer jungen Frau, sondern gleichberechtigt die von drei Schwestern, Johanna, Ruth und Marie, die bereits Halbwaisen sind und nun auch noch den Vater an den Tod verlieren. Dieser Verlust zwingt die drei Mädchen schon relativ früh dazu, selbst für ihren Lebensunterhalt in dem kleinen Glasbläserdörfchen Lauscha im Thüringer Wald im Jahre 1890 zu sorgen.

Wie unterschiedlich jede dieser drei historischen, aber trotzdem fiktiven Frauenfiguren auf Grund ihrer spezifischen Charaktere diese Selbständigkeit entwickelt, beschreibt Petra Durst-Benning sehr spannend und unterhaltsam und setzt gleichzeitig dem Glasbläserhandwerk und dessen Heimat Lauscha ein Denkmal.

»Die Glasbläserin« ist ein anspruchsvoller Schmöker zur Vorweihnachtszeit. Der Roman eignet sich aber auch als wunderschönes Weihnachtsgeschenk und dies nicht nur für an der zerbrechlichen Glasbläserkunst interessierte Leser.


Genre: Historischer Roman
Illustrated by List München